„Totengleich“ von Tana French und die Frage „Was ist Identität?“
Tana French ist eine irische Autorin, die regelmäßig auf den Spiegel-Bestseller-Listen vertreten ist. Als Krimifreund bin ich ein Fan ihrer Bücher, freue mich riesig, wenn eine Neuerscheinung ansteht.
„Totengleich“ war ihr zweiter Roman. Die deutsche Erstausgabe erschien 2009. Warum ich den Blog mit einem Buch beginne, das schon 10 Jahre alt ist? Weil mich diese Buch bewegt hat und bei jedem Lesen wieder zum Nachdenken anregt.
Die Polizei findet die Leiche einer jungen Frau in einem verfallenen Cottage in der Nähe von Dublin und ruft die Ermittlerin Cassie Maddox zum Fall dazu. Diese wundert sich, warum sie möglichst vermummt dort eintreffen soll. Als sie die Leiche sieht, stellt sie schockiert fest, dass die Tote ihr aufs Haar gleicht. Die Polizei findet heraus, dass die Tote mit vier anderen Studenten in einem alten Herrenhaus wohnt. Denen erzählt die Polizei, dass Lexie (die Tote) lebt, aber schwer verletzt im Krankenhaus liegt. Die Zeit des angeblichen Krankenhausaufenthaltes wurde zur Informationsbeschaffung genutzt. Cassie tritt dann in den Fußspuren des Opfers in deren Leben – also V-Mann 2.0. Wie das Buch endet, verrate ich nicht.
Mich haben während und nach dem Lesen die Fragen bewegt, woran man Identität fest macht und ob ich merken würde, wenn sich ein Fremder als ein Freund ausgibt bzw. ob andere merken würden, wenn sich jemand als ich ausgibt.
Identität ist ein soziales Konstrukt, ein Kompromiss aus Eigensinn und Anpassung an die Umwelt. Der Psychoanalytiker Erik Erikson vertritt in seiner Theorie die Ansicht, dass im Laufe des Lebens acht Identitätskrisen zu bewältigen sind. Nach Abschluss einer Krise folgt die nächste. Identität bedeutet demnach auch Einheit trotz Wandel. Nicht nur Goethes Faust wohnen zwei Seelen in der Brust, auch uns – und manchmal sogar mehr als zwei. Identität bedeutet, dass sie als Teil unserer Persönlichkeit ein Ganzes bilden. Identität ist aber nicht nur unsere Sicht auf uns, sondern vor allem die Sicht der anderen auf uns. Es ist das Bild, dass andere von uns haben. Und das ist vielschichtiger als biografische Eckdaten. Dazu gehören u.a. Vertrauen und Misstrauen (Wie gehen wir auf andere zu?), Wissen und Fähigkeiten (Was habe ich gelernt, was kann ich leisten?), Sprache und Sprechen (Wie äußere ich mich? Welche Wörter und Phrasen verwende ich häufig/selten? Wie klingt meine Stimme?). Identität ist komplex.
Trotz guter Recherche wird auch Cassie als Lexie von der Komplexität der Identität nicht verschont. Im Alltag fragt sie sich, welches Gemüse Lexie mochte bzw. nicht mochte, ob sie viel oder wenig gegessen hat. In Theorie existieren hier Grenzen zwischen Identität und Persönlichkeit. Im wahren Leben ist jeder von uns ein Mensch. Und vermutlich würden wir alle merken, wenn sich jemand in unser Leben schleicht und sich als jemand anderes ausgibt.