„Im Wald“ von Nele Neuhaus und die Frage „Bin ich mehr Schein als Sein?“

„Im Wald“ von Nele Neuhaus und die Frage „Bin ich mehr Schein als Sein?“

Krimis sind meine große Leseleidenschaft. Auf die Bodenstein-und-Kirchhoff-Reihe von Nele Neuhaus bin ich eher durch Zufall gestoßen, denn ich habe lange einen Bogen um deutsche bzw. regionale Krimis gemacht. Aktuell habe ich mit Nele Neuhaus das gleiche Problem, wie mit allen Autoren, die ich gerne lese: Ich lese schneller, als sie schreibt.

Worum es geht, fasse ich kurz zusammen: Oliver von Bodenstein und Pia Kirchhoff (bzw. mittlerweile verheiratete Sander) sind Kriminalhauptkommissare und ermitteln in einem Fall in Bodensteins Heimatdorf. Ein Unbekannter hat einen Wohnwagen in Brand gesteckt, in dem ein Mann war. Kurz danach wird die Besitzerin des Wohnwagens umgebracht, bevor die Polizei mit ihr reden kann. Während der Mörder weiterhin sein Unwesen treibt, stößt die Polizei bei den Dorfbewohnern auf Schweigen, Ignoranz, Verdrängung, Misstrauen und Angst. Es scheint einen Zusammenhang zu einem alten, ungelösten Fall zu geben. Vor über vierzig Jahren ist Bodensteins bester Freund verschwunden, doch auch hier scheint niemand im Dorf etwas zu wissen. Oder wissen zu wollen.

Die Dorfbewohner scheinen sich mehr Sorgen um ihr Ansehen im Dorf zu machen als darum, dass ein Mörder herum läuft. Im Laufe des Buches begegnet man vielen Figuren, die primär bemüht sind, den Schein zu wahren. Warum? 

Der Mensch ist ein soziales Wesen, das in der Gemeinschaft lebt und zwischenmenschliche Zuwendung braucht (Gespräche, Berührungen, Blicke etc.). Den Schein zu wahren bedeutet, auf Nummer sicher zu gehen. Es bedeutet, sicher ein Teil der Gemeinschaft zu bleiben und nicht zu riskieren, dass man ausgestoßen wird. Zum Leben gehört die Gemeinschaft aber nicht nur aus sozialer, sondern auch aus ökonomischer Sicht. Man kauft eher nicht bei dem, der Dreck am Stecken hat.

Das Sein birgt also Gefahren, die obendrein nicht gut kalkulierbar sind. Wer sich positioniert wird immer Freunde und Feinde haben, wird nie unsichtbar sein. Aber ist das nur schlecht? Nein. 

Alle Entscheidungen haben zwei Seiten, die Frage ist nur, was passt zu mir als Person? Bin ich eher ein stilles Mäuschen, dass immer artig nickt und um Harmonie bemüht ist oder sage ich lieber mal meine Meinung und mache meinem Herzen Luft? Eigentlich ist die Frage nicht, ob ich mehr Schein als Sein bin, sondern ob ich authentisch bin. Bin ich ich oder bin ich, was andere gerne hätten? Welche Variante langfristig glücklicher macht, darf jeder Leser für sich entscheiden.

Nele Neuhaus: Im Wald, 2016, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin